Lokomotive: Dampf setzt in Bewegung

Lokomotive: Dampf setzt in Bewegung
Lokomotive: Dampf setzt in Bewegung
 
Das Ziel von James Watt bestand in der Optimierung der Betriebstauglichkeit der direkt wirkenden Dampfmaschine, die stationär, also ortsfest, gebaut wurde, um anfangs als Pumpmaschine das Grubenwasser in englischen Bergwerken zu entfernen. Mit fortschreitender Verbesserung und Steigerung des Wirkungsgrads wurde die Dampfmaschine als zentrales Antriebsaggregat in Textilmanufakturen und später in den verschiedensten Fabriken eingesetzt.
 
Die ersten Versuche, die Dampfmaschine als Antrieb für Transportmittel zu nutzen, fanden in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts statt, zu einer Zeit, als die Newcomen-Maschine sich in Großbritannien zu bewähren begann und James Watt entscheidende Verbesserungen an ihr vornahm. 1769 baute in Frankreich im Auftrag und auf Kosten der Regierung der Artillerieoffizier Nicolas Joseph Cugnot einen kleinen dreirädrigen Dampfwagen. Der Wagen konnte nur wenige Minuten in Betrieb bleiben und kam über eine Geschwindigkeit von 4 km/h nicht hinaus. Trotz allgemeiner Unzufriedenheit wurde Cugnot beauftragt, einen größeren Dampfwagen zum Transport schwerer Geschütze zu bauen. Das 1770 betriebsfähige dreirädrige Fahrzeug besaß einen vor dem Vorderrad hängenden Kessel und zwei einfach wirkende Zylinder, deren Kolben auf das Triebrad wirkten. Durch Drehen der Vorderachse ließ sich der Wagen vom Führersitz aus lenken, dabei mussten die Maschine und der Dampfkessel mitbewegt werden. Der Dampfwagen verunglückte bei der Jungfernfahrt; weitere Arbeiten wurden wegen damals technisch unlösbarer Probleme, die Gewicht, Material, Steuerung und Dichtungen betrafen, nicht mehr ausgeführt.
 
Die 1801 und 1803 von Richard Trevithick gebauten Dampfwagen, bei denen der Kessel einen Dampfdruck von vier Atmosphären, also Dampfhochdruck, lieferte, funktionierten im Allgemeinen besser; der Durchbruch blieb ihnen jedoch wegen der schlechten Straßenverhältnisse versagt. Einen weitaus überzeugenderen Beweis, die hin- und hergehende Bewegung des Kolbens im Zylinder in eine Drehbewegung umzusetzen und damit ein Transportmittel zufrieden stellend zu bewegen, gelang dem Amerikaner Robert Fulton. 1807 präsentierte er den Einsatz der Dampfmaschine in einem Schiff als Schaufelradantrieb und begründete damit die Anfänge der Dampfschifffahrt. Sein 43 m langes Dampfschiff »Clermont«, ausgerüstet mit einer Maschine von Boulton & Watt, unternahm 1807 die erste Fahrt auf dem Hudson River von New York nach Albany.
 
 Von der spurgeführten Dampfmaschine zur Lokomotive
 
Nach dem Scheitern des straßentauglichen Dampfwagens wandte sich Trevithick den spurgeführten Kolbendampfmaschinen zu. Er wies nach, dass die Reibung der Räder auf eisernen Schienen genügte, um bedeutende Lasten selbst auf Steigungen zu befördern. Seit 1767 wurden in britischen Gruben gusseiserne U-Schienen verwandt. Als Trevithick seine erste Schienenlokomotive entwickelte, gab es bereits eine Reihe von Eisenbahnen, die jedoch alle mit Pferden oder ortsfesten Dampfmaschinen und Seilzug betrieben wurden. Noch 1817, als die Bahnstrecke zwischen Stockton-on-Tees und Darlington gebaut wurde, war man von einem Betrieb mit Dampflokomotiven nicht restlos überzeugt, da es immer noch eines überzeugenden Beweises für die Betriebstauglichkeit einer spurgeführten Kolbendampfmaschine im Eisenbahnalltag bedurfte. Trevithick erhielt 1803 von den Pennydarren Eisenwerken den Auftrag, eine Lokomotive für die Werkseisenbahn zu bauen, deren Strecke über 13,5 km zum Verladeplatz an einem Kanal führte. Sein Fahrzeug »Invicta« besaß einen Flammrohrkessel mit innen liegendem Feuerraum für einen hoch gespannten Dampfdruck von 3 bar. Im oberen Teil des Kessels war ein Zylinder waagerecht eingebaut. Der Kolben arbeitete über einen Kreuzkopf auf ein großes Schwungrad, von dem aus über zwei weitere Zahnräder die beiden Achsen angetrieben wurden. Die »Invicta« zog Lasten von 10 Tonnen mit einer maximalen Geschwindigkeit von 8 km/h, darüber hinaus konnte sie durch Aufbocken auch anderen Zwecken dienstbar gemacht werden. Das Reibungsproblem innerhalb des Rad-Schiene-Komplexes konnte noch nicht dauerhaft gelöst werden. Auch erwies sich die Kraftübertragung mittels Zahnräder als eine Entwicklung in die »Sackgasse«. Es ist Trevithicks Verdienst, die erste funktionsfähige Dampflokomotive entwickelt zu haben. Mit seiner Entscheidung zur Anwendung des hoch gespannten Dampfes, gegen das Niederdruck-Dampfmaschinenmonopol von James Watt, wirkte er bahnbrechend für die weitere Entwicklung der Dampflokomotive.
 
Der 1813 von William Hedley, dem britischen Ingenieur der Wylam-Kohlengrube bei Newcastle, gebaute »Puffing Billy« gilt als erste alltagstaugliche Lokomotive; sie soll bis 1862, also fast 50 Jahre ihren Dienst getan haben.
 
 Der Dampflokwettbewerb in Rainhill
 
George Stephenson arbeitete sich durch Selbststudium zum Heizer, Maschinenmeister und später bis zum Ingenieur hoch und war in Killingworth auf einer Kohlengrube tätig. Als Praktiker unternahm er in den Werkstätten der Kohlengrube mannigfaltige Versuche, die Dampflokomotive nachhaltig zu verbessern; der durchschlagende Erfolg blieb ihm vorerst versagt. In Verbindung mit der Stockton-Darlington-Bahn gründete Stephenson 1823 unter der Firma seines Sohnes Robert in Newcastle eine Lokomotivenfabrik. George Stephenson widmete sich nun ganz dem Lokomotivenbau. Dabei kamen ihm seine langjährigen Kontakte zu Henry Booth, dem Sekretär der sich im Bau befindlichen Manchester-Liverpool-Eisenbahn, zugute. Über Booth gelang es Stephenson, das Direktorium von dem geplanten Betrieb mit Pferden und Seilen abzubringen und schließlich ein Preisausschreiben zur Wahl der besten Dampflokomotive zu veranstalten.
 
Etwa 10 000 Zuschauer umsäumten am 8. Oktober 1829 den für den Wettbewerb freigegebenen Streckenabschnitt auf der Manchester-Liverpool-Eisenbahn. Die Maschinen der Mitbewerber fielen bald aus, und Stephensons »Rocket« wurde der Preis zuerkannt. Sie zog einen Zug von 19,4 Tonnen mit 21,5 km/h und erreichte mit einem von 36 Personen besetzten Wagen sogar eine Geschwindigkeit von 46 km/h. Die »Rocket« besaß erstmals einen Röhrenkessel und eine wasserumspülte Feuerbüchse. Der zylindrische Kessel wies 25 Heizrohre auf, war 1,83 m lang und 1,02 m breit. Seine Heizfläche betrug 12 m2, die Rostfläche hatte eine Größe von 0,56 m2, und der Dampfdruck erreichte 3,5 bar. Der Auspuff wurde durch ein Blasrohr zum Schornstein geleitet und diente zur Feueranfachung. Die Zylinder waren schräg am Langkessel angebracht; die Kolben trieben über Kurbelstangen die vordere Treibachse. Die Zylinder besaßen 240 mm Durchmesser, der Kolben hatte 300 mm Hub. Die »Rocket« wog leer kaum mehr als 3 Tonnen, und ihre Treibräder hatten einen Durchmesser von 1 220 mm. Sie gilt als die erste streckentaugliche Dampflokomotive der Welt.
 
Am 15. September 1830 fuhr ein verbesserter »Rocket«-Typ bei der Betriebseröffnung auf der Manchester-Liverpool-Bahn. Damit die starken Nickschwingungen und der unruhige Lauf minimiert werden konnten, erweiterte Stephenson die Achsfolge seiner Lokomotiven durch Hinzufügen einer weiteren Laufachse. So entstand die Achsanordnung 1A1, das heißt die Treibachse lag in der Mitte, eingerahmt von einer vorderen und einer hinteren Laufachse.
 
Stephenson lieferte in alle Welt; der am 7. Dezember 1835 fahrende »Adler« zwischen Nürnberg und Fürth belegt den Technikimport aus Großbritannien. Erst in den 1840er-Jahren gewann der deutsche Lokomotivenbau mehr an Bedeutung.
 
Dr. Hartmut H. Knittel

Universal-Lexikon. 2012.

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